Die Energiewende macht Schule!
von Marie Heinrichs
Energieeffizienz als Unterrichtsfach? 23 Schüler aus ganz Deutschland haben eine Berliner Schule besucht, wo nachhaltige Energie und Anlagenbau zum Unterrichtsinhalt gehören. Im Oberstufenzentrum TIEM spielt Energiewende für Europa nämlich eine besondere Rolle.
Bernd Roske führt die Jugendlichen durch die Ausbildungsstätte
Foto © Benjamin GriebeEine Gruppe von Jungs um die 18 Jahre alt unterhält sich vor der Tür. Was sie gerade haben, frage ich.
„Pause! Wir wurden zur Pause beauftragt“, scherzt einer der Jungs und senkt seinen Blick gleich wieder scheu auf den Boden.
„Was lernt ihr hier in der Schule?“, spezifiziere ich meine Frage.
„Ach, Automatisierung, Programmierung, ja das hauptsächlich, dann können wir später Anlagen bauen“, erklärt mir ein anderer Junge der Gruppe als wäre es das Einfachste auf der Welt.
Ich stehe vor dem OSZ TIEM in Spandau – dem Oberstufenzentrum für Technische Informatik, Industrieelektronik und Energiemanagement. Das Gymnasium mit beruflichem Schwerpunkten wird hier mit Weiterbildungsmöglichkeiten verbunden.
Das OSZ TIEM ist eine besondere Schule, ein Kompetenzzentrum für Industrieelektronik und regenerative Energietechnik – von der EU gefördert. Und da es in dieser Hinsicht so außergewöhnlich ist, beginnt genau hier im Rahmen des 60. Europäischen Wettbewerbs die Veranstaltungsreihe „Energiewende in Deutschland – ein Modell für Europa?“. Die Exkursion zum OSZ TIEM bildet den Startschuss für die Workshop-Tour der Deutschen Gesellschaft e.V. durch 20 Schulen in ganz Deutschland. Vor oder nach Exkursionen zu EU geförderten Institutionen gibt es für ausgewählte Schulklassen Vorträge zur Energiewende von Referenten der Deutschen Gesellschaft. Theorie zum Verstehen und Praxis zum Anfassen kommen auf diese Weise innerhalb eines Tages zusammen.
„Fragezeichen kleiner machen!“
Ein wenig verspätet treffen um kurz nach 10 Uhr die 23 Workshop-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer ein. Alle haben durch gesellschaftliche, politische oder naturwissenschaftliche Projekte an ihrer Schule die Teilnahme an dieser Bildungsfahrt gewonnen. Die Schülerinnen und Schüler befassen sich heute mit der Energiewende.
„Jeder kennt das Thema, aber zu wenige setzen sich dafür ein“, sagt Justin,
Schüler aus Bayern, über das Thema Energiewende. Foto © Benjamin Griebe„Jeder kennt das Thema, aber zu wenige setzen sich dafür ein“, beschreibt der Workshop-Teilnehmer Justin die Problematik, er ist ein Schüler aus Bayern.
Jan Roessel, Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft e. V. , beschreibt sein Projekt so: „Wir beschäftigen uns damit, was die Ziele, Wege und Fragen sind und daraus folgend die Herausforderungen. Wir wollen die Fragezeichen kleiner machen.“
Große Zeit für Small-Talk ist jetzt aber nicht! Die Verspätung muss wieder aufgeholt werden. Bernd Roske, Abteilungsleiter der OSZ TIEM für erneuerbare Energiequellen & Umwelt, nimmt die Schülergruppe, Herrn Roessel und mich in Empfang. Eilig geht es für uns alle direkt weiter, die Treppe hoch zum Vortragsraum.
Der graue Teppichboden dämpft die aufgeregten Stimmen der Jungen und Mädchen. Wir setzen sich uns an runde Tische. In der hinteren Ecke an ein Bücherregal gelehnt warten Berufsschüler des OSZ TIEM – nach einer kurzen Begrüßungsrede sieht der Ablauf ein Gespräch und eine Führung mit den Schülern vor.
„Eigentlich wäre gerade Vertretungsunterricht“, lacht Roske mit einem Blick zu den Schülern, „zum Thema Energieeffizienz“ – Wie passend!
Ausgezeichnet!
2008 erhielt das OSZ TIEM den deutschen Solarpreis im Bereich Bildung/Ausbildung. Als erste gründeten die Leiter 2002 den Ausbildungsgang „Assistent für regenerative Energietechnik und Energiemanagement“. Seitdem werden sie von der EU gefördert.
„Das OSZ steht stellvertretend dafür, wie Energiewende Beschäftigung generiert“, begründet Roessel die Wahl des OSZ als Exkursionsziel. „Die Energiewende kann nur dann gelingen, wenn nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch gedacht wird. Hier findet Austausch statt.“
Ein Modell für Europa?
Roske verteilt Broschüren. Neben einer kurzen Veranschaulichung der Struktur der Modellschule stellen drei Kurzfilme das OSZ vor.
Doch inwiefern kann ein solches Modell in Deutschland als Erfahrung für andere EU-Länder gesehen werden? Roske erzählt: „Wir sind hier nicht die Besten, denen man jetzt alles zeigen kann. Aber wir haben viel gelernt – von Spanien über Solarenergie und von Dänemark viel über Windenergie.“ Europäische Länder müssen also ihre Erfahrungen untereinander austauschen.
Anschließend bleibt etwas Zeit für offene Fragen der Workshop-Teilnehmer.
An der Diskussion beteiligt sich auch Jan Roessel von der Deutschen Gesell-
schaft e.V. Foto © Benjamin GriebeRoessel sieht Deutschland als Vorbild, da es schon frühzeitig erkannt habe, dass hier ein Zukunftsmarkt entstehe. Dennoch müsse der Bereich stärker europäisiert werden. „Der Ausbildungsgang hier zeigt, dass es sich lohnt in eine solche Ausbildung zu investieren, aber viele Länder sehen das noch nicht.“
Auch Tobias ist dieser Meinung. Der 20-Jährige gewann die Teilnahme durch ein Plakat, das Politiker auffordert weniger leere Worte zu verbreiten, aber gleichzeitig die Bürger auf ihre Vorurteile diesbezüglich aufmerksam macht. Der Workshop-Teilnehmer aus Baden-Württemberg meint, dass die Energiewende vor allem in Europa eine Rolle spielen müsse, nicht nur in Deutschland. „Da wird es jedoch, denke ich, schwierig von der Atomenergie wegzukommen“, fügt er am Ende noch rasch hinzu.
Eine besonders interessierte Teilnehmerin ist auch Frederike aus Rheinland-Pfalz.
Ich will von ihr wissen: Warum Energiewende wichtig sei?
Die 18-Jährige erklärt mir: „Entscheidend ist es, aus der Atomenergie herauszukommen, aber gleichzeitig müssen auch Alternativen gefunden werden.“
„Für Solartechnik begeistern“
Die Diskussion wäre damit abgehakt. Nun gilt es die Projekte vor Ort zu bestaunen. Roske führt uns durch die Gänge. Als die Tür zu einer Art Werkraum geöffnet wird, breitet sich der Geruch von Holz aus. Hier sind überall kleine Werkstätten angebracht, an denen die Schüler des OSZ üben können. In der Mitte steht eine Telefonzelle. Stolz präsentieren die Berufsschüler ihr neues Projekt – die Bücherbox: Eine alte Telefonzelle soll als sogenannter „Book Crossing Point“ dienen. Sie wird in der Öffentlichkeit platziert, sodass Bücher nach Belieben einfach ausgetauscht werden können. Von den Schülern wird die Telefonzelle mit Solartechnik versorgt – für die richtige Beleuchtung. „Für Solartechnik begeistern“ beschrieb der Abteilungsleiter zuvor treffend eines der Ziele der Schule.
Azubi Heiner Krause (re.) zeigt den Jugendlichen den Solarpavillon - einem
speziellen Unterrichtsraum der Auszubildenden "Assistent/innen für regenerati-
ve Energietechnik und Energiemanagement". Foto © Benjamin GriebeDen Höhepunkt des Ausfluges bildet der Solarpavillon. Das für 1,3 Millionen Euro größtenteils von EU-Fördermitteln gebaute Solargebäude dient gleichzeitig als Ausbildungsraum. Es erinnert an ein kleines Wohnhaus. Innen eröffnet sich ein großer Raum mit runden Arbeitstischen. Zwei Mädchen sitzen vertieft vor einem Laptop, davor stapeln sich vollgeschriebene Blöcke. Ein wenig eingeschüchtert betrachten die Workshop-Teilnehmer die komplizierte Technik. „Man kann alles aufmachen und reinschauen“, preisen die Berufsschüler eine Etage höher die Technik an. Wie selbstverständlich verdeutlichen sie, wie man mit einer Lüftungsanlage 30 Prozent der genutzten Energie einsparen kann.
„Die Schüler hier scheinen sich alle sehr gut auszukennen“, bemerkt Justin. Als wir schlussendlich auf dem Dach vor den Solarzellen stehen ergänzt der 20-Jährige: „Es überzeugt einmal zu sehen, was für einen Unterschied verschiedene Techniken für bessere Energieeffizienz ausmachen.“
Für mehr Ideenpotential
Frederike, 18, aus Rheinland-Pfalz: „Je mehr Menschen sich mit dem Thema
Energiewende befassen, desto größer ist das Ideenpotential.“
Foto © Benjamin GriebeWir erreichen das Ende der Führung und damit den Abschluss der Exkursion. Aber der Workshop-Tag ist damit noch lange nicht vorbei: Auf die Teilnehmer wartet die nächste Station im Paul-Löbe-Haus des Bundestags mit einer weiteren Diskussionsrunde und einer Präsentation über die Initiativen der Bundesregierung zur Gestaltung der Energiewende.
Frederike fasst zum Abschied die Absicht des Workshops zusammen: „Je mehr Menschen sich mit dem Thema Energiewende befassen, desto größer ist das Ideenpotential.“